Von guten und schlechten Früchten – 27.02.22

Es tut mir heute noch leid, dass ich damals nicht mutiger war. Ich hätte aufstehen müssen und mich zu Wort melden. Aber es hat mir die Sprache verschlagen angesichts der frommen Unverschämtheiten des wortgewandten Referenten. Ein prominenter katholischer Schriftsteller war zu einem Erwachsenenbildungsabend unserer Pfarrgemeinde eingeladen. Mit geschliffenen Worten warb er für die in seinen Augen bessere und heiligere Liturgie in der alten Form – und machte gleichzeitig die Teilnehmenden nieder, die es gewagt hatten eine andere Meinung zu äußern. Persönlich verletzt und unter der Gürtellinie getroffen verließen mehrere Personen den Saal. Aufgewühlt, wütend, sprachlos, erhitzt war die Stimmung; die Zuhörerschar war gespalten und stand sich feindlich gegenüber. Das waren die „Früchte“ dieser Veranstaltung, die noch lange in der Gemeinde nachwirkte und für Diskussionen sorgte.

Jesus gibt uns im heutigen Evangelium ein einfaches Werkzeug, um zu erkennen, aus welchem Geist ein Mensch spricht und handelt: „Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte bringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte bringt. Denn jeden Baum erkennt man an seinen Früchten….Denn wovon das Herz überfließt, davon spricht sein Mund.“ (Lk 6, 43.45b) Die Geister zu unterscheiden ist eine Kunst, die geübt sein will. Nicht immer ist die Geisteshaltung so deutlich zu erkennen wie in der beschriebenen Veranstaltung. Wenn wir uns auf Jesus einlassen, auf seine Botschaft, seine Person, seine Anliegen, auf seine Freundschaft, auf seinen Weg – dann wird uns das prägen und verändern. Wir lernen von ihm und wachsen immer mehr in seinem Geist. „Jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein.“ (Vers 40b) Im Lernprogramm stehen auch die Unterscheidung von guten und schlechten Früchten und die Bereitschaft zum Konflikt.

Ich hätte damals aufstehen sollen. Ich habe noch zu lernen.

Sr. Christine Zeis MC

8. Sonntag im Jahreskreis / Lukas 6, 39-45