MISSIONARINNEN CHRISTI ERZÄHLEN

Im Portrait: Sr. Arlette Reichel, Leipzig

Wie oft ist es so, dass im vermeintlich Kleinen unserer täglichen Arbeit in all unseren verschiedenen Berufen in der Wirkung auf Einzelne so viel Großes geschieht. Wir berühren Mitmenschen, bewirken Gutes, helfen. Oft ist es augenscheinlich unsichtbar und doch so wertvoll. So geht es auch Sr. Arlette Reichel, die mitten in einem sozialen Brennpunkt Leipzigs, im Kinder-, Jugend- und Familienzentrum der Caritas, in Grünau arbeitet.

Die gelernte Erzieherin blickt auf eine 16jährige Kita-Erfahrung zurück, hat zusätzlich ein Montessori-Diplom und war drei Jahre als Erzieherin in einem Hort in Jena tätig. Ihr Weg hat sie vor ein paar Jahren nach Leipzig geführt, der berufliche Weg in das Aufgabengebiet der Familienbildung hinein, wo sie heute schwerpunktmäßig tätig ist. Anfangs war sie in der Kinderbetreuung des Familienkompetenztrainings und im offenen Kinderhaus tätig und hat ehrenamtlich Deutschkurse gegeben.

Die Aufgaben des Familienzentrums sind vielfältig. Sechs Bereiche kümmern sich um die unterschiedlichen Belange von Kindern, Jugendlichen und Familien. Es gibt eine Erziehungsberatungsstelle, die Familienbildungs- und Begegnungsstätte FAMILIENlokal, das offene Kinderhaus mit Bauspielplatz (Kinder- und Jugendtreff für 7-14jährige), Familienkompetenztraining (Kursangebot), das Gewaltpräventionsprojekt Stinktier für Schulklassen und FaBiKoo, Familienbildung in Kooperation mit Kindertageseinrichtungen.

Angesichts der massiven Corona-bedingten Einschränkungen stehen die Berater*innen großen Herausforderungen gegenüber: „Unsere Einrichtung lebt vom persönlichen Kontakt, im Idealfall im direkten persönlichen Gespräch vor Ort. Leider ist dies momentan nur sehr begrenzt möglich. Zwar erreichen wir einige unserer Klienten auch digital – manchmal unter großen technischen Schwierigkeiten – aber immerhin. Doch nicht alles, was wir sonst bieten und tun, können wir eins zu eins digital umsetzen. Dabei ist es gerade in einer Lockdown-Situation umso wichtiger, die Menschen nicht alleine zu lassen“, so Sr. Arlette.

Ein Projekt, das die Herausforderungen dieser besonderen Zeit deutlich macht, ist „Zeig mir, wie es geht“, eine wöchentliche Hausaufgabenhilfe. Hier bekommen insbesondere Eltern Anregungen, wie sie ihre Kinder bei den täglichen Hausaufgaben unterstützen können. Momentan trifft Sr. Arlette ihre Schützlinge dazu online, ist froh darüber, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Der virtuelle Raum ist zugleich eine Barriere und die Sorge wächst, nicht verhindern zu können, dass der ein oder andere schulisch abgehängt wird – ungeachtet allen Engagements.

Sie gibt auch weiterhin Deutschkurse. Aus einem Deutschkurs Konversation ist eine Elternaustauschrunde zu familienrelevanten Themen entstanden. Darin geht es um einen Austausch untereinander, um ein Miteinander, ums voneinander Lernen und dabei die deutsche Sprache anwenden, praktizieren, erweitern, vertiefen.

Die Namen der Kurse und Projekte des Zentrums sind Programm. „Tohuwabohu“ beispielsweise ist eine niederschwellige Beratung für Familien, die Alltagsunterstützung brauchen, etwa beim Lesen und Verstehen von Post oder dem Ausfüllen von Anträgen. Auch hier ist Sr. Arlette eingebunden.

Viele Klienten kommen von sich aus mit ihren Problemen und Herausforderungen. Wer aber nicht von sich aus wiederkommt oder gar nicht erst den Kontakt sucht, bleibt unerreichbar. Dafür reichen weder die zeitlichen noch personellen Ressourcen aus. In all den Fällen, in denen es gelingt, eine persönliche Beziehung aufzubauen, funktioniert die Unterstützung optimal. Sr. Arlette versucht durch gezieltes Nachfragen, doch noch den einen oder die andere zu erreichen. Letztlich ist Sozialarbeit immer Beziehungsarbeit. Wenn es gelingt, beispielsweise über die angebotene Alltagsunterstützung Menschen so zu erreichen, dass sie daraufhin nicht nur wiederkommen sondern auch weitere Angebote der Einrichtung nutzen, ist das jedes Mal wieder ein schöner Erfolg und eine Bestätigung des eigenen Tuns.

„Wenn ich irgendwo helfen kann, wem oder wobei auch immer, dann tue ich es. Das ist meine Art. Ich kann nur schwer nein sagen. Insbesondere in meinem Beruf muss ich das aber manchmal tun, nicht immer kann ich helfen, schon gar nicht allen, die meiner Hilfe bedürfen. All das berührt und bewegt mich – auch in den Feierabend hinein arbeitet das ein oder andere in mir weiter, zumal mich die persönlichen Schicksal mancher  Klienten oft nachdenklich stimmen.“

So besteht der Berufsalltag im Umfeld der Sozialarbeit aus einem beständigen Abwägen, was möglich ist und was eben nicht. So gibt es auch Anfragen, die über den eigenen Kompetenzbereich hinausgehen oder es fehlen Möglichkeiten, ein Hilfsangebot machen zu können. In vielem schreibt der Leistungsparagraph vor, was möglich ist, gegebenenfalls wird an eine andere Beratungsstelle vermittelt.                                                                                                   

Im Herbst 2020 hat Sr. Arlette eine Weiterqualifizierung zur Elternbegleiter*in über das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend abgeschlossenen, welche ihre beruflichen Kompetenzen erweitert. Das Projekt Elternchance will Familien früh für das wichtige Thema Bildung gewinnen.

Dann wiederum kommen auf einmal  völlig unerwartete und ganz neue Aufgabenfelder dazu. So ist Sr. Arlette seit April 2021 in Leipzig mit für das Projekt Stromsparcheck zuständig. Mit dieser Initiative unterstützt die Caritas bundesweit private Haushalte mit niedrigem Einkommen dabei, weniger Strom, Wasser und Heizenergie zu verbrauchen, mit Erfolg: die Mieter*innen  erreichen dank der Beratung jährliche Einsparungen in Höhe von etwa 100 Euro pro Haushalt. Die Berater*innen, die in die Haushalte gehen, sind nicht selten selbst über ihre Tätigkeit zurück auf dem Weg in den ersten Arbeitsmarkt. Sr. Arlette ist zuständig für die Quartiersarbeit in Grünau und stellt in ihrer Funktion den Kontakt zwischen Berater*innen und Klient*innen her, unter anderem indem sie mit Hausverwaltungen, Wohnungsbaugesellschaften und anderen Institutionen in Kontakt tritt.

Nicht zuletzt spielt im eigenen Berufsalltag mit all seinen Facetten und Herausforderungen auch immer die Zugehörigkeit zu den Missionarinnen Christi eine Rolle, die ja in den verschiedensten Berufen als Ordensfrauen mitten unter den Menschen leben – ganz normal. In der geistlichen Lebensordnung heißt es: „Pater Moser hat uns eine große Offenheit und Beweglichkeit aufgetragen. Er hat uns nicht festgelegt auf bestimmte Orte oder Aufgaben, damit wir frei bleiben, überall dorthin zu gehen, wohin die Güte Gottes uns noch schicken wird.“

Zum einen leben die Schwestern mitten unter den Menschen und schaffen zugleich mit ihrer Berufstätigkeit auch die ökonomische Basis ihrer Gemeinschaft. Auf die Frage, welche Rolle der eigene Glauben spielt, findet Sr. Arlette eine sehr persönliche Antwort: „Ich habe mich gefragt, was mich als Missionarin Christi und Teil der Sozialarbeit unseres Zentrums von anderen unterscheidet. Dabei bin ich zu der Erkenntnis gelangt: im Berufsalltag gar nichts. Jeder und jedem, der diesen Beruf ernstnimmt, liegt das Wohl der ihr/ihm anvertrauten Menschen am Herzen. Barmherziges und gütiges Handeln ist keine Glaubensfrage. Es ist schlicht und ergreifend menschlich. Wir alle schauen gleichermaßen sorgsam auf die Würde dieser Menschen. Den Unterschied sehe ich in meiner Beziehung zu Jesus Christus. Ich kann und darf im Gebet vieles abgeben, das mich belastet, auch einmal das Ohnmachtsgefühl, nicht (genug) helfen zu können. Ich bitte ihn um Hilfe. Ich lebe aus dieser Beziehung zu Jesus heraus, handle daraus – oder versuche es zumindest. Beim Tagesrückblick und in den stillen Zeiten hinterfrage  ich  mich und mein Tun und versuche, mich von seinem liebenden Blick anschauen zu lassen.“

Beitrag von Maureen Hermsen, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Missionarinnen Christi

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