Impuls im Advent – Dezember 2020

MEIN ANDERER ADVENT

„Ich gehöre zu der Sorte Corona-Betroffener, denen es zwar im Prinzip gut geht, weil sie gesund und existenziell nicht bedroht sind, deren Leben aber, da kontakteingeschränkt, gerade etwas zu langweilig und zu eintönig und zu einsam ist. Und immer kochen, lesen, beten, über die immer gleichen Themen unterhalten… geht auch nicht. Also stricke ich. Und das ist besonders, denn ich habe jahrzehntelang nicht gestrickt. Meine Mitschwestern haben mich mit dem Strick-Virus angesteckt; ich konnte nicht länger widerstehen. Und da meine älteste Schwester Hanne Mitte Dezember ihren 70. Geburtstag feiert, habe ich spontan beschlossen, ihr als Geschenk eine warme Mohair-Stola zu stricken: 80×160 cm aus hauchdünner Wolle, federleicht, in einem schönen Blauton. Die reine Überforderung! „Das schaffe ich nie. Es geht so langsam. Die Maschen fallen von der Nadel. Schon wieder ein Fehler. Blöde haarige Wolle. So viel Zeit für einen Zentimeter. Das wird ein Großprojekt, das vielleicht an Ostern fertig wird.“ So dachte ich jedenfalls vor einer Woche in meiner Verzweiflung. Jetzt ist das Teil schon auf 58 cm angewachsen: federleicht und wunderschön. Es wird… und das kam so: Meine Mitschwester Margarita hilft mir und auch die anderen beiden Mitschwestern begleiten das Projekt mit Interesse und Ermutigung. Margarita gab mir Nachhilfe beim Fehler ausbessern und wir stricken abwechselnd. Unterdessen kann ich besser mit der dünnen, haarigen Wolle umgehen und heruntergefallene Maschen versetzen mich nicht mehr in Panik. Zudem mache ich mir keinen Zeitdruck: irgendwann wird die Stola schon fertig.

Es fühlt sich so an, als ob das adventliche Strickprojekt eine Lernübung für mich sein könnte: Ich übe mich in Geduld und Ausdauer, nehme dankbar Hilfe an, bin demütig angesichts meiner begrenzten Strickfähigkeit, kann mit Fehlern besser umgehen, ich stricke meine Liebe für meine Schwester hinein, erfahre Solidarität, freue mich am Wachsen und Werden, bin mit einer Verheißung unterwegs und erwarte am Ende das überraschte Gesicht meiner Schwester angesichts des vollendeten Geschenkes. Das sind alles Themen, die sehr gut in den Advent passen: persönlich, gemeinschaftlich und sogar endzeitlich. Und ist das nicht auch alles anwendbar auf die Coronasituation und unser Umgehen mit den Herausforderungen der Krise?

Das Besondere an jedem Advent ist, dass der Herr Jesus Christus, den wir erwarten und dessen Ankunft wir in adventlichen Liedern und Texten ersehnen und erbitten, längst da ist! Jesus ist anwesend in unserer Wirklichkeit: so wie sie jetzt eben ist. Und wenn wir uns dem was ist öffnen, dahinter schauen, uns berühren lassen, weiterdenken, dann wird die Wirklichkeit, dann wird unser Leben durchsichtig auf den Anwesenden hin. Immanuel-Gott-mit-uns ist sein Name. In jeder Lebenslage ist er anwesend und beistehend da. Als ob er flüstern würde: Nur Mut, es wird schon, nur weiter, es lohnt sich, ich bin dabei, wir schaffen das gemeinsam, am Ende wird es gut.

Das ist eine gute adventliche Botschaft – weit über mein Strickprojekt hinaus, auch über die Coronakrise hinaus. Es ist ein Lebensprojekt.“

Sr. Christine Zeis


Sr. Christine Zeis (Jahrgang 1961) ist Exerzitien- und geistliche Begleiterin. Nach 20 Jahren in Leipzig und Jena lebt sie seit zehn Jahren in Weilheim in Oberbayern, wo sie nach den Jahren der Noviziatsleitung nun den Aufgabenschwerpunkt in der Seelsorge hat.