SICHTBAR WERDEN!
Sichtbar werden soll an Fronleichnam der „Herrenleib“, wie die Übersetzung der mittelhochdeutschen Festbezeichnung lautet. Das „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“, so der heutige offizielle Name, wird in der katholischen Kirche am Donnerstag der zweiten Woche nach Pfingsten gefeiert. Die Osterzeit ist vorüber. Sieben Wochen haben wir intensiv die Auferstehung Jesu gefeiert und in vielen Geschichten gehört, wie Jesus nach seinem Tod immer wieder den Jüngern und Jüngerinnen begegnet ist, wie sie ihn meistens zunächst nicht erkannt hatten, dann aber umso glücklicher über das Wiedersehen mit ihm waren. Wir haben gefeiert, dass Jesus in den Himmel aufgefahren ist und nach seinem irdischen Leben wieder ganz bei Gott ist. Und wir sind noch voll von den Liedern und Versen, mit denen wir den Heiligen Geist auf uns herabrufen, unseren Tröster, Beistand, Beweger und Muntermacher in allem, was uns niederdrückt und träge werden lässt, für unsere Vorhaben und Begegnungen.
Das Fest Fronleichnam stellt den Leib des Herrn in die Mitte, die Eucharistie. Sie ist das, was uns bleibt, wenn die großen Feste vorüber sind. Es bleibt die Dankbarkeit, dass Jesus Mensch geworden ist und sich hingebungsvoll auf diesen Weg eingelassen hat, die Dankbarkeit, dass er für uns da war und ist und bleibt – vor Augen, auf der Zunge, bis hinein in die kleinste Zelle unseres Körpers. In der Monstranz betrachte und meditiere ich Jesus, das Brot des Lebens, in der Kommunion nehme ich ihn in mich auf, esse ihn und werde gestärkt für das nächste Wegstück, das vor mir liegt.
Die Heilige Juliana von Lüttich, gestorben 1258, hatte die Anregung zum Fronleichnamsfest gegeben, um die Erinnerung an die Einsetzung der Eucharistie wachzuhalten, also die Erinnerung an das Letzte Abendmahl. Die Heilige Juliana wollte klargestellt wissen, wer oder was die Mitte unseres Glaubens ist. Dass Fronleichnamsprozessionen seit der Barockzeit Triumphzügen eines Königs mit seinem Hofstaat und viel Volk gleichen, passt von der Grundidee dazu. Als Christinnen und Christen sind wir das pilgernde Gottesvolk, manchmal müde und schwerfällig, manchmal aufgeschreckt und konfus, manchmal auch munter und unternehmungslustig. Wenn wir uns immer wieder vergewissern, dass Jesus Christus mit uns unterwegs ist und wir uns an ihm orientieren können, dann werden wir unser Ziel wohl sicher erreichen.
Sichtbar werden wollen wir auch als Christinnen und Christen selbst. Viele von uns tragen ein Kreuzchen als Anhänger um den Hals. Andere entscheiden sich, an ihrem Arbeitsplatz ein Kreuz oder ein anderes christliches Bild aufzuhängen. Wenn ich an einer Videokonferenz teilnehme, kann ich meinen Hintergrund frei wählen und entscheiden, ob das Kreuz hinter meinem Schreibtisch sichtbar wird oder eben nicht.
Wir Missionarinnen Christi haben kein gemeinsames Zeichen, das uns als Christinnen ausgibt oder unsere Verbundenheit untereinander sichtbar macht. Alle wollen wir aber „mitwirken am erlösenden und befreienden Wirken Gottes“ und uns einsetzen „für Glaube und Menschenwürde hier und heute“, wie wir es in unseren Richtlinien für Deutschland und Österreich formuliert haben. Das bedeutet für uns, dass wir uns nicht zufrieden geben mit dem Ist-Zustand unserer Welt, sondern uns dort einbringen und mitmischen, wo wir einen Beitrag leisten können zu einer gerechteren und menschlicheren Mit-Welt. Die eine tut das, indem sie mit Kindern aus Flüchtlingsfamilien Deutsch lernt, die andere, indem sie sich bei Amnesty International engagiert. Mitschwestern von uns haben das Netzwerk „Ordensfrauen für Menschenwürde“ ins Leben gerufen, eine unserer Schwestern hat in diesem Jahr eine Kreuzweg-Meditation verfasst und verbreitet, die aktuelle Situationen aus der Corona-Krise ins Gebet nimmt. So werden wir auf ganz unterschiedliche Weise sichtbar.
Gemeinsam bilden wir als Christinnen und Christen den „Leib des Herrn“. Wir sind nicht alleine aktiv und auch nicht in unserem eigenen Namen, sondern als Teil eines größeren Ganzen und im Auftrag Jesu.
„Sichtbar werden!“ ist der Titel einer Aktion der Arbeitsgemeinschaft Kirchenpädagogik der Ordensgemeinschaften Österreich, deren Leiterin ich bin. Am Fronleichnamstag, dem 3. Juni 2021, wollen wir in verschiedenen österreichischen Kirchen sichtbar werden, als Christinnen und Christen, als Kirchenführerinnen und Kunstvermittler – mit unserem Glauben, mit Bildern, die uns kostbar sind, in den Räumen, in denen wir unseren Glauben feiern. Unsere Kirchen sind meistens im Ortsbild deutlich erkennbare Bauten, ihre Türme prägen die Stadtsilhouette. Oft sind ihre Fassaden geschmückt und ihre Eingänge erhöht oder aufwändig gerahmt. Wer außerhalb der Gottesdienstzeiten eintritt, ist meistens alleine im Kirchenraum. Am Nachmittag des 3. Juni soll es anders sein: In den ausgewählten Kirchen werden Sie empfangen von einer Person, die Ihnen etwas zeigen möchte: ein Bild oder eine Skulptur, eine besondere Perspektive oder eine versteckte Inschrift. Vielleicht kommen Sie miteinander ins Gespräch darüber und tauschen sich aus, was Ihnen kostbar und heilig ist, was für Sie Mitte und Ziel bedeutet. Herzliche Einladung zur Begegnung!
Eine Liste mit den Orten, an denen wir sichtbar werden bzw. geworden sind finden Sie hier im PDF:
Am 4. Juni 2021 von 16-18 Uhr können Sie online die Anliegen der Kirchenpädagogik kennenlernen und Beispiele unserer Aktion „Sichtbar werden!“ ansehen.
Sr. Ruth Pucher MC
Sr. Ruth Pucher MC, Kunsthistorikerin und Supervisorin, Leiterin des Bereichs Ordensentwicklung im Kardinal König Haus, Wien